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«Eine Stadt ist nie fertig gebaut»

Deborah Arnold beschäftigt sich von Berufs wegen mit der Zukunft der Stadt Luzern und somit auch mit dem ewl Areal. Mit gemeinnützigen Wohnflächen, Arbeitsplätzen und öffentlichen Nutzungen entstehe dort ein sehr spannender Nutzungsmix und ein zeitgemässes und urbanes durchmischtes Quartier, sagt die Leiterin der Stadtplanung.

Früher plante man ganze Stadtquartiere am Reissbrett – so sieht der Berufsalltag von Luzerns Stadtplanerin Deborah Arnold jedoch definitiv nicht aus. Dennoch trägt sie massgeblich dazu bei, dass sich die Stadt Luzern weiterentwickelt.

Sie und ihre Abteilung analysieren verschiedene Ansprüche an ein gegebenes Luzerner Stadtgebiet, prognostizieren die Auswirkungen dieser Ansprüche auf das umliegende Gebiet und erarbeiten so Nutzungs- und Gestaltungskonzepte, wie der entsprechende Stadtteil weiterentwickelt werden könnte. «Es geht darum, das optimale Zusammenleben in der Stadt zu ermöglichen», umschreibt die Stadtplanerin ihren Job.

Selbstredend beobachtet auch sie die Weiterentwicklung des ewl Areals und der Industriestrasse mit grossem Interesse – und sieht in mehrerlei Hinsicht grosses Potenzial.

Deborah Arnold, welche Bedeutung hat das Gebiet rund um den Geissensteinring historisch für die Stadt Luzern?
Arnold: Wenn wir bei der Namensherkunft starten, so stellt sich heraus, dass diese nicht gänzlich geklärt ist.

Etwas mit Geissen läge nahe…
Arnold: Könnte man meinen. Tatsächlich wird heute aber vermutet, dass der Name sich eher vom keltischen «cais» ableitet. «cais» bedeutet soviel wie «Höhenzug» beziehungsweise «Kamm». Der Name bezieht demnach wohl eher auf die Topografie vor Ort. *

Man verbindet das Gebiet ja auch eher mit verschiedensten Industrie- und Gewerbegebäuden, als mit Tierhaltung …
Arnold: Der Grund, weshalb das Gebiet heute baulich so heterogen und vielfältig ist, kommt zweifellos aus der ehemaligen gewerblichen Nutzung. Ein Meilenstein diesbezüglich war sicher die Eröffnung des Gaswerks Steghof im Jahr 1899.

Die Eröffnung des Gaswerks trat eine rapide Wandlung des gesamten Gebiets los.
Arnold: Im darauffolgenden Jahrzehnt entwickelte sich insbesondere das Gewerbe entlang der Industriestrasse. In dieser Zeit entstanden zum Beispiel das ehemalige Käselager, eine Pferdebestallung, ein Eisenwarenhandel, die Porzellanhandelsfirma oder eine Getränkehandelsfirma. Bis vor kurzem, prägte diese Konstellation an Gebäuden – zusammen mit dem gegenüberliegenden ewl Areal – das Gebiet massgeblich.

Rund 100 Jahre später, befindet sich die Industriestrasse wiederum im Wandel.
Arnold: Der Startschuss dazu fiel anfangs der 2000-er Jahre, als das Areal Industriestrasse zu einer Wohn- und Arbeitszone wurde. Ein Faktor hier ist sicher der zunehmende Druck, innerstädtisch verdichtet zu bauen. Mit dieser Umzonung war aber auch klar, dass eine neue Nutzungsdurchmischung angestrebt wird.

Auf der einen Seite der Industriestrasse wird ja bereits gebaut. Die Kooperation Industriestrasse Luzern (KIL) realisiert dort gemeinnützigen Wohnraum und Gewerbeflächen. Auf dem ewl Areal sind unter anderem eine neue Feuerwehrzentrale, Alterswohnungen und mehr geplant. Welches Potenzial sehen Sie in diesem Gebiet?
Arnold: In dem Gebiet entsteht ein enorm spannender Nutzungsmix mit gemeinnützigen Wohnflächen u. a. für Alterswohnen, mit vielfältigen Arbeitsplätzen und öffentlichen Nutzungen. Es wird ein sehr zeitgemässes und urbanes durchmischtes Quartier entstehen. Hinzu kommt das spannende kulturelle Potenzial des Roten Hauses, einem Zeitzeugen der Vergangenheit, der zu einem neuen Bezugsort für das ganze Quartier werden kann.

Können Sie das ausführen?
Arnold: Es entsteht hier ein sehr belebtes Zentrumsquartier. Eines, das aber auch durch die Feuerwehr oder die Rangiergeräusche auf den Bahngleisen mit gewissen Lärmemissionen leben muss. Der industrielle Charakter, den das Quartier früher hatte, bleibt also ein Stück weit erhalten. Der Blick über die Bahngleise finde ich übrigens besonders spannend.

Inwiefern?
Arnold: Einerseits entsteht dadurch Weitblick, andererseits geht die Entwicklung beim Neubad / Bireggstrasse Hand in Hand mit der Entwicklung auf dem ewl-Areal. Wenn man nun etwa auf den Erfolg des Freigleises blickt, wäre es sehr spannend, diese Gebiete über eine Brücke ins Gebiet der Frutt- und Industriestrasse zu verbinden. Pläne hierfür bestehen ja bereits, müssen aber auf die neue Überbauung abgestimmt werden. Zudem ist im Richtplan auch bereits eine S-Bahn- Station eingetragen.

Eine S-Bahnstation für das künftige Quartier?
Arnold: Der Richtplan beinhaltet zumindest schon mal die Überlegung, dass dies dereinst möglich sein könnte. Vom Bahnhof her wäre man mit der Zentralbahn innert einer Minute im Quartier. In Kombination mit einer Verlängerung des Freigleises würde das Gebiet ohne Zweifel zu einer innerstädtischen Toplage avancieren. Das wiederum würde es zu einem noch interessanteren Gebiet für die Ansiedlung von Arbeitsplätzen machen.

Da wir grade vom ewl Areal über die Gleise blicken: Inwiefern beeinflusst die Zukunft des ewl Areals die Weiterentwicklung des Kleinmatt-Gebiets?
Arnold: Der Stadtrat will bekanntlich die städtischen Grundstücke im Gebiet Kleinmatt- /Bireggstrasse im Baurecht an gemeinnützige Wohnungsbauträger abgeben. Der Umzug der Feuerwehr ist diesbezüglich ein Schlüsselfaktor.

Wenn dereinst das ewl Areal fertiggestellt und auch das Kleinmatt weiterentwickelt wurde: Ist das Zentrum der Stadt Luzern dann fertiggebaut?
Arnold: Zuerst mal würde ich hinterfragen, was genau das Zentrum der Stadt ist. Wenn die gesamte kantonale Verwaltung an den extrem gut erschlossenen Seetalplatz in Emmen zieht, muss man die Stadt Luzern vielleicht plötzlich anders denken. Der historische Kern einer Stadt bleibt nicht zwingend immer dessen Mittelpunkt. Viel eher wird es in Zukunft, ähnlich wie in der Stadt Zürich, verschiedene Zentren geben.

Der Umzug der kantonalen Verwaltung schafft ja dann in der Stadt Luzern auch wieder neue Möglichkeiten, oder?
Arnold: Genau. Es gibt immer wieder Veränderungen. Viele davon auch solche, die man heute noch gar nicht kennt und prognostizieren kann. Mit anderen Worten: Eine Stadt ist nie fertig gebaut.

Quelle*: Gemäss Anton Müller in: Beat Wyss, Edgar Rüesch: Luzern, Inventar der neueren Schweizer Architektur, 1991

Text: Ismail Osman
Bilder: Eveline Beerkircher