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«Die Gassenküche ist und bleibt fester Bestandteil dieses Quartiers»

Seit über 20 Jahren betreibt der Verein Kirchliche Gassenarbeit am Geissensteinring die Gassenküche. Die rapiden Veränderungen im Quartier beobachtet man dort mit einer Mischung aus Sorge, Hoffnung und pragmatischer Zuversicht. Letzteres nicht zuletzt, weil der Schlüssel für eine langfristige Koexistenz mit den neuen Nachbarn bekannt ist.

Es ist laut in der «Gassechuchui». Nicht so sehr wegen des regen Betriebs in der Einrichtung am Geissensteinring, sondern wegen des Baulärms, der von gegenüber der Strasse an die Fassade der städtischen Einrichtung donnert. Die Baustelle des KIL-Projekts der Kooperation Industriestrasse ist ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass sich das Quartier im Umbruch befindet – und sich mit dem neuen ewl Areal nochmals massiv verändern wird.

Diesem Wandel sind sich auch Franziska Reist, Geschäftsleiterin des Vereins kirchliche Gassenarbeit und Adrian Klaus, Betriebsleiter der Gassenküche und der Kontakt- und Anlaufstelle am Geissensteinring, bewusst. Den anstehenden Veränderungen stehen Sie offen gegenüber, warnen aber auch vor der Wiederholung von Fehlern aus der jüngeren Vergangenheit.

Frau Reist, es ist unüberhörbar: Das Unterlachenquartier erlebt derzeit beträchtliche Veränderungen. Wie nehmen Sie diese Veränderungen wahr?
Franziska Reist:
Der aktuelle Baulärm ist sicherlich eine sehr offensichtliche Manifestation dieses Wandels. Die Veränderungen im Quartier beobachten wir indes schon seit Längerem. Die Planungsarbeiten für das Industriestrassen-Areal und das ewl Areal starteten ja schon vor Jahren, hinzu kommt die bereits fertiggestellte Überbauung am Geissensteinring 8 bis 14. Die bisherigen Begegnungen mit den verschiedenen Akteuren fielen ziemlich unterschiedlich aus.

Inwiefern?
Reist:
Im Falle des Industriestrassen-Areals wurden wir von der Kooperation von Beginn weg aktiv in den Planungsprozess eingebunden. Wir konnten unsere Arbeit vorstellen und wurden zu Informationsveranstaltungen eingeladen. Auch die ewl Areal AG lud uns zu Infoveranstaltungen ein und suchte den Kontakt und Austausch. Bei der Geissenstein- Überbauung war dies leider nicht der Fall. In der Folge kam es auch zu Konflikten und Beschwerden. Diese konnten glücklicherweise in der Zwischenzeit gelöst oder gemindert werden.

Befürchten Sie, dass die Gassenküche aus dem Quartier verdrängt wird?
Reist: Tatsächlich treten immer wieder Stimmen an mich heran, die befürchten, dass die Gassenküche eine Belastung für das neue Quartier darstellt. Andere wollen wissen, wo wir hinziehen würden, falls wir nicht mehr erwünscht sind. Damit verbunden ist ein Gefühl, dass man sich fast schon permanent verpflichtet fühlt, die Anwesenheit der Gassenküche an diesem Standort zu rechtfertigen.
Klaus: Hier müssen wir aber auch festhalten, dass diese Liegenschaft von der Stadt Luzern spezifisch für diese Nutzung realisiert wurde. Wir sind in der privilegierten Position, keine Zwischennutzung zu sein. Das ist in vielen anderen Städten und Gemeinden der Fall, was zu planerischen Unsicherheiten führt. Insofern mache ich mir bezüglich Verdrängung aktuell keine allzu grossen Sorgen.

Wie wichtig ist diesbezüglich die Duldungsklausel, die künftige Mieterinnen und Mieter entlang der Industriestrasse in ihrem Mietvertrag haben werden?
Reist:
Diese Klausel ist für uns elementar und ein positives Signal von Seiten der Industriestrasse und des ewl Areals. Es wäre verheerend, wenn wir infolge der Entwicklung des Quartiers umziehen müssten. Wie man aus anderen Städten weiss, ist es extrem schwierig, einen neuen Standort für eine solche Einrichtung zu finden.

Was kann mit einer solchen Duldungsklausel bewirkt werden?
Klaus:
Sie schafft eine rechtliche Grundlage – und zwar für alle Seiten. Damit ist nicht zuletzt auch den Liegenschaftsbesitzerinnen gedient. Klar ist aber auch, dass sich mit einer Duldungsklausel Konflikte nicht komplett verhindern lassen. Ich denke dabei an Platznutzungen, Durchgänge, Aufenthaltsflächen, Spielplätze und mehr.
Reist: Auch in diesen Situationen wird eine direkte Kommunikation zentral sein. Wichtig ist zu verstehen, dass das Thema Sucht ein gesellschaftliches Problem ist und auch sichtbar sein darf. Diese Menschen haben die gleichen Rechte wie alle anderen, solange sie sich an die geltenden Regeln halten.

Gibt es Massnahmen, die Sie ergreifen, um möglichen Verdrängungstendenzen entgegenzuwirken?
Reist:
Wir haben unter anderem einen Echoraum lanciert und die Akutere aus der Nachbarschaft dazu eingeladen. Das Sicherheitsmanagement der Stadt koordiniert dieses Gefäss. Anliegen können so direkt an uns getragen werden. Das Gefäss soll auch dazu beitragen, dass Planungsfehler aus der jüngeren Vergangenheit nicht wiederholt werden müssen.
Klaus: Es geht darum, die direkte Kommunikation zu fördern und schnell Lösungen zu finden. Ich möchte aber auch Folgendes betonen: Die Menschen, die schon lange hier im Quartier leben, zeigen oft eine hohe Toleranz für unsere Einrichtung und unsere Klientel.

Welche Rolle sehen Sie für die Gassenküche im neuen Quartier?
Klaus:
Die Gassenküche ist seit über 20 Jahren fester Bestandteil des Quartiers und trägt zur sozialen Durchmischung bei. Manchmal ist das mit «komischen» Personen verbunden, die durchs Quartier gehen. Manchmal auch mit unangenehmen, skurrilen oder auch herzlichen Situationen.
Reist: Wichtig ist, dass die in diesem Quartier gelebte Offenheit und Toleranz auch von den neuen Akteuren getragen wird. Die Förderung von sozialer Integration und Gleichberechtigung ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Zum Abschluss: Welche Wünsche und Erwartungen haben Sie im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den neuen Nachbarn und Akteuren im Quartier?
Klaus:
Eine Zusammenarbeit, basierend auf Offenheit und Transparenz, ist entscheidend für ein positives Zusammenleben. Diese Offenheit für den Dialog wünsche ich mir und wurde von der ewl Areal AG und der Kooperation Industriestrasse auch signalisiert. Es wird Konflikte geben, das ist klar. Entscheidend ist, wie wir diese angehen und lösen.
Reist: Mein grösster Wunsch ist eine gute gemeinsame Kommunikation. Es ist wichtig, dass der Dialog gesucht wird, und Anliegen auch an uns herangetragen werden. Damit die angestrebte Koexistenz gelingt, braucht es Toleranz und Respekt von allen beteiligten Seiten.

Text: Ismail Osman
Bilder Eveline Beerkircher